Zwangsverrentung für Bezieher von Hartz IV

Urteil des Bundessozialgerichts

Mehr als jeder fünfte Beschäftigte, der im ersten Halbjahr 2015 seinen Job verlor, ist nach einem Bericht der „Saarbrücker Zeitung“ (Montag-Ausgabe) sofort in Hartz IV gerutscht. Das Blatt beruft sich dabei auf eine noch unveröffentlichte Untersuchung des DGB.

Demnach waren in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres 264.000 Beschäftigte schon zu Beginn ihrer Arbeitslosigkeit auf Hartz IV angewiesen. Das waren 21,3 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit Jobverlust. Besonders angespannt ist die Lage in der Zeitarbeitsbranche. Dort wurden im ersten Halbjahr 183.000 Arbeitkräfte entlassen. Davon waren rund 68.000, also 37 Prozent, direkt im Anschluss auf staatliche Grundsicherung angewiesen.

Zur Bekämpfung des Problems plant Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) eine Lockerung der Bedingungen für den Bezug von Arbeitslosengeld I. So soll die Frist, innerhalb der man zwölf Monate lang versicherungspflichtig gearbeitet haben muss, von zwei auf drei Jahre ausgeweitet werden. Nach Angaben des DGB-Arbeitmarktexperten Wilhelm Adamy könnten dadurch im Jahresschnitt bis zu 35.000 Personen vor dem sofortigen Abdriften in Hartz IV bewahrt werden. Gegen die Pläne von Nahles sperrt sich allerdings die Union.

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach verteidigte den Vorstoß der Ministerin. „Die soziale Sicherungsfunktion der Arbeitslosenversicherung hat Lücken, die geschlossen werden müssen“, sagte sie dem Blatt. „Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass Beschäftigte, die Beiträge eingezahlt haben, auch Leistungen aus der Versicherung enthalten, wenn sie arbeitslos werden.“ Saarbrücker Zeitung

„Die Zwangsverrentung für Bezieher von ‚Hartz IV‘ ab dem 63. Lebensjahr muss ersatzlos gestrichen werden.“ Das forderte der Präsident der Volkssolidarität, Wolfram Friedersdorff, am Donnerstag. Er bezog sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 19. August 2015, das die „Zwangsverrentung“ eines „Hartz IV“-Beziehers mit 63 Jahren und Abschlägen bestätigte. „Die Volkssolidarität bleibt bei ihrer Kritik an der entsprechenden Rechtslage, auf deren Grundlage Ältere zwangsverrentet werden, die unverschuldet arbeitslos geworden sind und seit Jahren keine existenzsichernde Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt finden.“

Friedersdorff erinnerte daran, dass in Ostdeutschland jeder dritte Bezieher von „Hartz IV“-Leistungen älter als 50 Jahre ist. „Statt wenigstens über öffentlich geförderte Beschäftigung Brücken in die Rente zu ermöglichen, gibt sich die Politik damit zufrieden, dass ältere Langzeitarbeitslose in Altersarmut landen. Es ist ein Hohn, wenn sie durch Abschläge auf eine Mini-Rente herabgestuft werden.“

Der Präsident der Volkssolidarität kritisierte die Unaufrichtigkeit, mit der diese Praxis trotz der Kritik von Sozialverbänden, Gewerkschaften und Erwerbslosengruppen fortgeführt wird. „Das passt einfach nicht zusammen mit den Debatten um die Rente mit 63. Wenn tatsächlich händeringend Arbeitskräfte gesucht werden, muss man auch bereit sein, älteren Arbeitslosen eine Chance zu geben statt sie in Zwangsrente zu schicken.“ Der Ermessensspielraum der Jobcenter, in Härtefällen keine „Zwangsverrentung“ zu verlangen, sei „keine akzeptable Lösung für die Betroffenen“, betonte Friedersdorff. Die Volkssolidarität bleibe dabei, dass die „Zwangsverrentung“ im Sozialgesetzbuch II ohne Wenn und Aber abgeschafft werden müsse. Volkssolidarität Bundesverband e.V. www.volkssolidaritaet.de

Urteil des Bundessozialgerichts

Zum aktuellen Urteil des Bundessozialgerichts zur Zwangsverrentung von SGB II-Leistungsbeziehern erklärt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes:

„Das Urteil müssen wir mit großer Bestürzung zur Kenntnis nehmen. Doch nicht alles, was rechtens ist, ist auch richtig. Die Zwangsfrühverrentung von Hartz-IV-Beziehern ist rücksichtslos und kurzsichtig. Um die Sozialkassen kurzfristig zu entlasten, werden Menschen in die Altersarmut genötigt. Dauerhafte Rentenabschläge von leicht 7,2 und mehr Prozent lassen viele der Betroffenen auf direktem Weg in die Altersgrundsicherung rutschen.

Die Verurteilung zu Altersarmut bis ans Lebensende stellt eine völlig unverhältnismäßige Härte dar. Nach unseren Schätzungen werden in den nächsten zwei Jahren rund 140.000 Hartz-IV-Bezieher von der Zwangsverrentung bedroht sein. Wir fordern die Bundesregierung auf, die Möglichkeit der Zwangsverrentung vollständig abzuschaffen.“ Gwendolyn Stilling, paritaet.org

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