Ein Bündnis von 41 Gewerkschaften und Verbänden bewertet den von der Großen Koalition in Aussicht gestellten Einmalzuschlag in Höhe von 150 Euro für arme Menschen als “Tropfen auf den heißen Stein”. Die Organisationen starten heute eine breite Unterschriftensammlung, um den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen, endlich armutspolitisch wirksame Soforthilfen auf den Weg zu bringen.
Die Covid-19-Pandemie mit all ihren wirtschaftlichen und sozialen Folgen treffe “die Ärmsten in der Gesellschaft besonders hart”, heißt es in dem heute veröffentlichten Appell, und ausgerechnet die Ärmsten seien es, die nunmehr seit Beginn der Krise vor fast einem Jahr “noch immer auf angemessene Unterstützung” warten.
Das Bündnis fordert die zügige Anhebung der Regelsätze auf mindestens 600 Euro für alle Menschen, die auf existenzsichernde Leistungen wie etwa Hartz IV angewiesen sind. “Denn schon vor Corona fehlte es den Armen an Geld für eine ausgewogene, gesunde Ernährung und ein Mindestmaß an sozialer, politischer und kultureller Teilhabe”, heißt es in dem Appell. Darüber hinaus brauche es statt einer Einmalzahlung für die Dauer der Krise einen pauschalen Mehrbedarfszuschlag in der Grundsicherung von 100 Euro pro Kopf und Monat, um zusätzliche corona-bedingte Kosten auszugleichen. Schließlich fordern die Organisationen “für die Dauer der Krise ein Verbot von Zwangsräumungen und die Aussetzung von Kreditrückzahlungen, um einkommensarme Menschen vor Corona-bedingtem Wohnungsverlust und Existenznot zu schützen.”
Der Appell wurde initiiert von einer breiten Allianz, die von Gewerkschaften, Sozial- und Wohlfahrtsverbänden, über Kultur, Wohnen, Umwelt bis zu Selbsthilfe, Gesundheits- und Menschenrechtsorganisationen reicht. Das Bündnis ruft Bürgerinnen und Bürger auf, mit ihrer Unterschrift unter den Appell “Corona trifft Arme extra hart – Soforthilfen jetzt!”, politisch Druck zu machen, damit auch die Ärmsten – ob arme Alte und Pflegebedürftige oder Kinder, Arbeitslose, Flüchtlinge oder Erwerbsgeminderte – die Corona-Krise gut überstehen können.¹
Koalitionsausschuss: Paritätischer kritisiert Ergebnisse als „armutspolitisches Trauerspiel“
Als „Tropfen auf den heißen Stein“ kritisiert der Paritätische Wohlfahrtsverband die vom Koalitionsausschuss in Aussicht beschlossene Einmalzahlung in Höhe von 150 Euro für Grundsicherungsbeziehende. Nötig wäre stattdessen ein monatlicher Zuschuss für die Dauer der Krise, um die coronabedingten Mehrbelastungen auch nur annähernd auszugleichen. Die aktuellen Regelsätze in Hartz und Altersgrundsicherung reichten nicht einmal aus, um unabhängig von Corona die Grundbedarfe zu decken. Gemeinsam mit über 30 weiteren bundesweiten Verbänden und Gewerkschaften fordert der Verband eine Anhebung der Regelsätze auf mindestens 600 Euro sowie für die Dauer der Krise einen pauschalen Mehrbedarfszuschlag von 100 Euro pro Monat.
„150 Euro Einmalzahlung ist gut für Kinder über der Armutsgrenze. Für Beziehende von Hartz IV und Altersgrundsicherung bleibt es weit hinter dem zurück, was wirklich Not tut. Die Krisenbewältigung der Großen Koalition bleibt ein armutspolitisches Trauerspiel“, kritisiert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands. Nach einem Jahr Krise, Pandemie und Ausnahmezustand, deren Ende noch nicht absehbar sei, seien die angekündigten Einmalzahlung viel zu wenig. „Es ist wirklich beschämend, wie die Bundesregierung die Not der Armen in dieser Krise monatelang ignoriert hat, die Menschen nun mit 150 Euro abspeist und im Regen stehen lässt.“ Der Verband weist darauf hin, dass auch die angekündigten Gutscheine für 10 FFP2-Masken bisher nicht bei den armen Menschen angekommen seien. „Statt bürokratisch auf Gutscheinbriefe oder eine kleinliche Einmalzahlung zu setzen, braucht es dringend einen monatlichen Zuschlag für coronabedingte Mehrausgaben wie bspw. Masken.“
Der Paritätische begrüßt, dass die Jobcenter jetzt die Kosten für Laptops für arme Kinder übernehmen, weil Hubertus Heil als Arbeitsminister darüber alleine bestimmen kann. „Aber so richtig und wichtig diese Maßnahme ist, damit alle Kinder endlich gleichberechtigt am Homeschooling teilnehmen können: Die Menschen – und zwar alle – müssen auch insgesamt über den Monat kommen“, so Schneider. Die Anhebung der Regelbedarfe zum 1.1.2021 um 14 Euro für (alleinstehende) Erwachsene sei – ganz unabhängig von Corona – realitätsfern, nicht bedarfsgerecht und viel zu niedrig gewesen. „Alle Expert*innen sind sich einig, unter 600 Euro reicht es auf keinen Fall, um über den Monat zu kommen. Coronabedingte Mehrbelastungen kommen noch obendrauf. Was es braucht, ist den politischen Willen, Armut in diesem reichen Land wirklich zu verhindern.“²
¹Sanktionsfrei e.V. ²Paritätischer Wohlfahrtsverband