Visum für Türken nur gegen Werte

CDU-Politiker weisen Ultimatum der Türkei als Erpressung zurück

Führende CDU-Politiker haben das Ultimatum der Türkei, das Flüchtlingsabkommen platzen zu lassen, wenn bis Mitte Oktober die Visapflicht nicht gefallen sei, entschieden zurückgewiesen. „Erpressung ist kein Mittel der Politik“, sagte CDU-Vize Thomas Strobl der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“.

Visum für Türken nur gegen Werte

„So haben Staaten nicht miteinander umzugehen“, sagte Strobl. Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum, warnte Ankara vor eigenen Nachteilen. „Mit derlei Drohungen setzt die Türkei weitaus mehr aufs Spiel als ein Flüchtlingsabkommen“, sagte Krichbaum unter Verweis auf die Milliarden-Zahlungen der EU zur Verbesserung der Flüchtlingsinfrastruktur in der Türkei. Die EU sei weiterhin zur Visafreiheit bereit, wenn die Voraussetzungen erfüllt seien. „Hier muss die Türkei noch liefern“, sagte der CDU-Politiker. Vor allem das Terrorismusbekämpfungsgesetz, das zunehmend dazu missbraucht werde, unliebsame Personen und Andersdenkende zu verfolgen, müsse revidiert werden.

Dagegen rief der Vizepräsident des EU-Parlamentes, Alexander Graf Lambsdorff, die Bundesregierung zu einer diplomatischen Initiative auf. „Die Türkei weiß genau, dass sie ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht hat“, sagte Lambsdorff der Redaktion. Andererseits gelinge es aber auch der Bundesregierung nicht, in dieser heiklen Lage, die Gemüter zu beruhigen. „Jetzt ist Diplomatie gefragt, nicht Gepolter“, sagte der FDP-Politiker. Rheinische Post

Man kann viel über die Bürokratie und die Ineffizienz in der Europäischen Union schimpfen. Aber sie ist eine Wertegemeinschaft. Die Grundlagen gelten, etwa die europäische Menschenrechtskonvention. Was in der Türkei seit Jahren passiert – und sich nach dem gescheiterten Putschversuch noch verschärft hat -, ist ein systematisches Vorgehen staatlicher Stellen gegen Regimegegner. Wissenschaftler, Journalisten, Menschenrechtler, die sich gegen Erdogan stellen, werden verfolgt und verhaftet. Man hat das Gefühl, dass er jeden, der seine Macht bedroht, mit irgendeiner Terrorgruppe in Verbindung bringt, ob Gülen oder PKK. Deswegen darf sich die EU in der Visumfrage nicht erpressen lassen. Die Bedingungen für diesen supranationalen Vertrauensbeweis hat Ankara noch lange nicht erfüllt. Die neuen Anti-Terror-Gesetze haben die Lage eher verschlechtert. Die EU muss im Zweifel bereit sein, auf den Flüchtlingspakt zu verzichten, und endlich damit anfangen, einen Plan B für die Ägäis zu entwickeln, falls die Türkei ihre Küsten nicht mehr kontrolliert. Die Hotspots auf den griechischen Inseln müssen funktionsfähig gemacht werden. Und die EU muss eine konzertierte Hilfsaktion für Griechenland starten. Eher früher als später. Michael Bröcker – Rheinische Post

Als die EU sich im März auf das Abkommen mit der Türkei verständigte, wusste sie, auf wen sie sich einließ. Dass Ankara kein einfacher Partner sein würde, war klar. Weil sich aber die Mitgliedstaaten der Union nicht auf eine gemeinsame Flüchtlingspolitik festlegen konnten, wurde das Problem ausgelagert. Man verließ sich auf einen Nachbarn, dessen Staatsoberhaupt schon im Frühjahr Anlass zur Sorge bereitete. Spätestens nach der Quasi-Absetzung des proeuropäischen Premiers Ahmet Davutoglu im Mai hätten in Europas Hauptstädten die Alarmglocken schrillen müssen. Stattdessen vertraute man darauf, dass der Deal, der dem unkontrollierten Migrationsstrom nach Österreich, Deutschland und Schweden ein Ende setzte, irgendwie halten würde. Dieses blinde Vertrauen könnte sich bald rächen.

Dass sich Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mit der Aufkündigung der Vereinbarung als Erpresser und Opportunist enttarnt, dürfte dem Machthaber am Bosporus egal sein. Die wieder intensivierten Beitrittsgespräche, die ebenfalls Teil der im März getroffenen Vereinbarung waren, sind ohnehin für beide Seiten eher ein politisches Instrument als ein echtes Ziel. Für Erdogan, um die Bevölkerung, die eine engere Verbindung mit Europa eingehen will, zu befriedigen. Für die EU, um Erdogan etwas zu geben, dessen Ausgang aber maßgeblich von der Erfüllung der Bedingungen abhängt – und damit der Türkei. Das Land ist von den Konditionen, die aus einem rein hypothetischen Beitrittskandidaten einen zukünftigen Mitgliedstaat machen, weiter entfernt denn je. Das weiß Erdogan so gut wie jeder Staats- und Regierungschef in den 28 EU-Hauptstädten.

Dennoch wagte bislang niemand, daraus den Schluss zu ziehen – und die Beitrittsgespräche zu beenden. An ihre Stelle treten könnte eine Partnerschaft, die sich auf Bereiche beschränkt, in denen eine Zusammenarbeit tatsächlich möglich ist – etwa in der Wirtschaft. Es wäre ehrlicher und konsequenter, als an dem Status des Beitrittskandidaten festzuhalten. Das gilt auch für die in Aussicht gestellte Visafreiheit. Denn eines kann sich die Gemeinschaft nicht erlauben: Sie darf sich nicht erpressbar machen. Die Drohkulisse, die Erdogan gegenüber der EU aufzubauen versucht, ist mehr Fassade als Realität.

Zum einen, weil die Zahl der illegalen Migranten, die seit Anfang April in die Türkei zurückgeschickt wurden, noch immer im dreistelligen Bereich liegt. Zum anderen, weil die Zahl der Flüchtlinge, die nach Europa kommen wollen, deutlich zurückgegangen ist – ganz ohne das Zutun der Türkei. Im Licht des neuen Klimas in dem Bosporusstaat muss sich die EU fragen, ob es richtig ist, Flüchtlinge dorthin zurückzuschicken. Brüssel muss daraus endlich die notwendigen Schlüsse ziehen. Westfalen-Blatt

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