Das Sprichwort, wonach Gott demjenigen, dem er ein Amt gebe, auch Verstand gebe, hat sich im Fall von Donald Trump nicht bewahrheitet. Im Gegenteil: Je mehr Verantwortung auf diesen 45. Präsidenten der USA zukommt, desto irrationaler handelt er. Nun scheint er mit seinem gefühllosen Vorgehen nach dem gewaltsamen Tod eines schwarzen Amerikaners an einem Wendepunkt seiner Präsidentschaft angekommen zu sein: Er verliert sein wichtigstes Argument – den Rückhalt in der Bevölkerung.
Auch international hat er Einfluss und Ansehen der USA verspielt. Russland macht in Europa und im Nahen Osten schon lange, was es will. China lauert nur darauf, die USA machtpolitisch und ökonomisch als führende Nation der Welt abzulösen. Und die von aufgeklärten Amerikanern als Anführerin der freien Welt gerühmte deutsche Kanzlerin geht auf maximale Distanz. Trumps Einladung zum G7-Gipfel folgt Merkel nicht. Ihr Nein dürfte dem US-Präsidenten den Plan verhageln, inmitten der Corona-Krise, während innenpolitischer Auseinandersetzungen und im Jahr der US-Wahl ein Signal internationaler Stärke zu senden.
Trump kommt einem in diesen Tagen vor wie der Monarch aus dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ – in jenem Augenblick, in dem ein Kind ruft: „Der hat ja keine Kleider an“. Trump ist in der amerikanischen Öffentlichkeit demaskiert, nachdem er am vergangenen Freitag vor den Demonstranten in den Bunker im Weißen Haus fliehen musste. Dass er nun die Demonstranten vor seinem Amtssitz mit Tränengas auseinandertreiben ließ, um sich mit einer Bibel in der Hand vor der gegenüberliegenden Kirche fotografieren zu lassen, zeigt einmal mehr seine Entrückung von der Realität. Trump hat in den USA Hass gesät, nun erntet er Gewalt.¹
„I can’t breathe – ich kann nicht atmen.“ Mark Mason schrieb diesen Satz zehnmal hintereinander – so oft wie der Afroamerikaner George Floyd flehte, bevor er in der vergangenen Woche in Minneapolis unter dem in sein Genick gedrückten Knie eines weißen Polizisten starb. Amerika ist seither in Aufruhr. Aus Ausgangsbeschränkungen wegen der Covid-19-Pandemie wurden Ausgangssperren, um nächtliche Straßenkämpfe und Plünderungen zu unterdrücken.
Mark Mason schrieb die letzten Worte von Floyd nicht auf ein Plakat für eine der vielen friedlichen Demonstrationen. Die Sätze stehen auf der Internetseite der US-Großbank Citigroup in einem Blog, mit dem Mason auf die täglichen Gefahren für Afroamerikaner wie ihn selbst hinweist – auf das Risiko, selbst vom Joggen nicht lebend zurückzukehren. Der Blog sorgte für Aufsehen. Denn Mason ist Finanzchef der Citigroup, einer der höchstrangigen Manager an der Wall Street und einer der wenigen Afroamerikaner in einer solchen Position. Auch andere Spitzenmanager an der Wall Street äußerten ihre Empörung über Polizeigewalt und ihr Verständnis für – friedliche – Demonstrationen.
Die Finanzmärkte selbst scheinen das Thema bislang weitgehend zu ignorieren. Zwar stiegen die Aktienkurse von Unternehmen, die Überwachungssoftware für die Polizei herstellen. Auch die Titel von Waffenherstellern waren gefragt. Anleger wetten offenbar darauf, dass sich Amerikaner jetzt noch mehr Schusswaffen kaufen, um sich im Fall eines gesellschaftlichen Zusammenbruchs selbst verteidigen zu können. Aber insgesamt setzen Anleger auf eine Beruhigung der Konflikte und weiterhin auf die erhoffte Konjunkturerholung.
Die bisherige Geschichte der Wall Street mag ihnen recht geben. In diesem Jahr ist die Lage nach fast drei Monaten Pandemie aber besonders explosiv. Covid-19 hat Minderheiten in Amerika besonders hart getroffen. Die Arbeitslosigkeit ist extrem gestiegen und damit auch die Verzweiflung. Präsident Trump zündelt am Pulverfass, gibt den starken Mann und droht sogar mit Einsatz des Militärs.
Die Pandemie ist bei weitem nicht im Griff. Die Demonstrationen machten jeden Anschein räumlicher Distanz zunichte. Möglicherweise droht nun eine zweite Welle von Ansteckungen. Das ist keine Basis für wachsendes Vertrauen in einen wirtschaftlichen Aufschwung. Sollte die Lage in den amerikanischen Städten weiter eskalieren, wird das an den hoch bewerteten Aktienmärkten nicht spurlos vorübergehen.²
¹Eva Quadbeck – Rheinische Post ²Börsen-Zeitung – Norbert Kuls