Tönnies kritisiert Corona-„Generalverdacht“ gegen die Fleischbranche

Stresstest für die Schlachthöfe

Tönnies kritisiert Corona-„Generalverdacht“ gegen die Fleischbranche

Die Ankündigung der NRW-Landesregierung, angesichts eines Corona-Ausbruchs in der Belegschaft des Westfleisch-Schlachthofes in Coesfeld Kontrollen von Arbeiter-Unterkünften und Tests sämtlicher Mitarbeiter aller Schlachtbetriebe landesweit durchzuführen, stößt bei Deutschlands größtem Fleischkonzern Tönnies auf Kritik. „Ich wundere mich darüber, dass unsere Branche hier unter Generalverdacht gestellt wird. Zumal die Politik uns zu Beginn der Corona-Krise signalisiert hat: Ihr seid systemrelevant und müsst eure Produktion aufrecht erhalten“, sagte Konzernlenker Clemens Tönnies am Freitag dem in Bielefeld erscheinenen WESTFALEN-BLATT.

Für das Unternehmen bedeute das Corona-Tests alleine bei 6500 Beschäftigten am Stammsitz in Rheda-Wiedenbrück (Kreis Gütersloh). Etwa die Hälfte davon sind ausländische Werkvertragsarbeiter. „Wir sind offen dafür, die Tests durchzuführen, wenn wir damit eine Risikominimierung erreichen. Dann ist das in Ordnung“, erklärt Tönnies. Dabei gelte aber auch: „Der Kreis Gütersloh ist angesichts insgesamt niedriger Corona-Zahlen überhaupt kein so genannter Hot-Spot.“

Tönnies verweist zudem darauf, frühzeitig „ein ganz hohes Maß an Vorsorge getroffen“ zu haben. „Jetzt so zu tun, als wenn das Risiko bei den Schlachthöfen liegt, das halte ich für unredlich. Gleichwohl tun wir weiterhin alles, um die Gesundheit unserer Mitarbeiter und den Versorgungsauftrag aufrecht zu erhalten.“

Unter den weltweit 16.500 Beschäftigten des Tönnies-Konzerns habe es seit März vier bestätigte Corona-Fälle gegeben: „Zwei davon waren Rückreisende aus Tirol, zwei aus der Produktion an Außenstandorten. Wir haben sie und die Kontaktpersonen sofort isoliert.“

Der Konzern teste seine Mitarbeiter derzeit im eigenen Labor auf Antikörper. „Wir suchen quasi nach der berühmten Dunkelziffer, um zu sehen, haben unsere Maßnahmen gegriffen“, sagt Tönnies.

Anders als bei den Wettbewerbern Westfleisch im Kreis Coesfeld oder Vion in Schleswig-Holstein gebe es bei Tönnies keine großen Sammelunterkünfte für Arbeiter. „Der Großteil unserer Mitarbeiter wohnt in Drei- oder Vierzimmerwohnungen, verteilt auf Stadt und Umland. Großunterkünfte wie Kasernen oder ehemalige Jugendherbergen gibt es bei uns nicht“, erklärt Tönnies.

Eine kurzfristige Einzelunterbringung der Arbeiter hält der Konzernchef für schwierig umzusetzen. „Das ist mit der heißen Nadel gestrickt. Was mache ich zum Beispiel mit Ehepartnern, Pärchen oder Geschwistern. Die kann ich doch jetzt nicht zwangstrennen. Da sind wir im Dialog mit den Behörden.“

Derweil spürt der Fleischkonzern auch geschäftliche Auswirkungen der Corona-Krise. „Die Pandemie hat das Ernährungsverhalten erheblich verändert, das hat schon durchgeschlagen“, sagt Clemens Tönnies dem WESTFALEN-BLATT. „Die Gastronomie und der Kantinenbereich sind komplett eingebrochen, dagegen konnten wir über den Lebensmittelhandel etwas kompensieren. Da auch der Export weitergeht, sind wir noch im Plan.“¹

Den Elch hat es beim Test nie gegeben, dennoch ist der „Elchtest“ vielen heute noch ein Begriff für das mangelhafte Fahrverhalten eines Mercedes, der bei einem Ausweichmanöver umkippte. Um die Leistungsfähigkeit des Fahrzeugs zu testen, bringt man es bei solchen Tests an die Belastungsgrenzen. Auch bei Banken ist man dazu übergegangen, nach der Finanzkrise 2008/2009 die Widerstandsfähigkeit zu prüfen. Stresstest nennt man das.

Das Coronavirus ist ein weltweiter Test – und wieder sieht man, wer den Kräften, die da gerade wirken, nicht standhalten kann. Etwa die fleischverarbeitende Industrie, deren Fabriken sich unter anderem in Deutschland und in den USA zu einem Zentrum der Covid-19-Infektionen entwickelt haben. Die schlechten Arbeitsbedingungen sind seit Jahren bekannt, doch was sich bislang abseits von hin und wieder auftretenden Lebensmittelskandalen ignorieren ließ, tritt nun offen zutage. Denn plötzlich erkauft sich die Gesellschaft ihr Wegschauen nicht mit günstigen Preisen für Hackfleisch und Hähnchenschenkel – sondern mit der persönlichen Freiheit. So wie im Kreis Coesfeld, wo die Einschränkungen des öffentlichen Lebens aufgrund der hohen Infektionszahlen in einem Betrieb verlängert werden mussten.

In der Landwirtschaftspolitik hat Deutschland in den vergangenen Jahren vielfach weggeschaut. 2017 zeigte ein Bericht des EU-Verbraucherschutzverbandes BEUC, dass die Zahl der Kontrollen in Deutschland seit 2007 deutlich zurückgegangen war – obwohl die Zahl der Betriebe weitgehend konstant blieb. Wegen erhöhter Nitratwerte im Grundwasser, einer Folge der Massentierhaltung, läuft ein Verfahren der Europäischen Union gegen Deutschland. Die Politik hat zumindest im aktuellen Fall erkannt, dass etwas passieren muss, und kündigt ein härteres Vorgehen an, quasi einen Stresstest für den Schlachthof. Das ist überfällig.²

Grüne beantragen Aktuelle Stunde zu Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie

Die Grüne Bundestagsfraktion hat für diese Sitzungswoche eine Aktuelle Stunde zum Thema Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie beantragt. Hierzu erklärt Britta Haßelmann, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin:

Seit vielen Jahren ist bekannt, wie miserabel Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen sind. Werk- und Saisonarbeiter sind oftmals in schlechten Unterkünften untergebracht, leben auf engstem Raum und können gar keinen Abstand halten. Am Arbeitsplatz herrschen ähnliche Bedingungen, angefangen von mangelhafter Ausrüstung bis zu ausbeuterischen Arbeitszeiten und sehr geringen Löhnen. An Arbeits- und Gesundheitsschutz der Arbeiter fehlt es. Durch Corona wird nun offenbar, welche schlimmen Konsequenzen dies hat.

Mit der Ausbeutung in der Schlachtbranche muss endlich Schluss sein. Es kann nicht sein, dass sich Chefetagen von Schlachtkonzernen über Subunternehmensgeflechte aus der Verantwortung stehlen. Die Gesundheit von Menschen darf Profitinteressen nicht untergeordnet werden. Es muss daher bessere und häufigere Kontrollen der Betriebe geben und Verantwortliche von Konzernen müssen zur Rechenschaft gezogen werden können. Auch braucht es eine bessere Ausstattung der Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Der Arbeitsschutz muss endlich verbessert werden. Darüber hinaus muss es für die Arbeitskräfte, die aus dem Ausland kommen, Informationen und Beratung bezüglich ihrer Arbeitnehmerrechte geben.

¹Westfalen-Blatt ²Rheinische Post ³Bündnis 90/Die Grünen

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