Spahns Pflegereform 2021 gefährdet die Pflege in Deutschland

bpa warnt vor den Folgen der geplanten Kürzungen beim Rettungsschirm Pflege

Spahns Pflegereform 2021 gefährdet die Pflege in Deutschland

Das Bundesgesundheitsministerium hat vor dem Jahreswechsel ein Eckpunktepapier zur Pflegereform 2021 vorgelegt. Darin festgelegt ist die Halbierung des Tagespflegebudgets bei gleichzeitiger Nutzung der ambulanten Pflege. Von dieser Maßnahme wären ca. 140.000 Pflegebedürftige und ihre Familien sowie über 5.000 Betreiber von Tagespflegen betroffen.

Für viele Pflegebedürftige wäre durch die angedachte Halbierung des Tagespflegebudgets eine Versorgung in den eigenen vier Wänden nicht mehr möglich. Für die pflegenden Angehörigen bleibt dann nur der Ausweg den geliebten demenzkranken Ehemann oder die eigene Mutter ins Pflegeheim zu geben oder den eigenen Beruf aufzugeben.

Da ist zum Beispiel Frau F. Sie ist 94 Jahre alt und pflegebedürftig mit Pflegegrad 2. Sie leidet an Demenz und nutzt die Tagespflege an 7 Tagen in der Woche. Frau F. isst und trinkt nichts, wenn sie allein ist – selbst vorbereitete Mahlzeiten lässt sie einfach stehen. Sie lebt bei ihrer Tochter, die auch überwiegend die Betreuung und Pflege übernimmt. Die Tochter ist voll berufstätig im Einzelhandel. Durch die Berufstätigkeit der Tochter ist die Tagesbetreuung in einer Tagespflege der einzige Weg, damit das Wohnen zuhause für Frau F. überhaupt möglich ist. Reduziert sich nun das Budget für die Tagespflege, stellt sich für Mutter und Tochter die Wahl: Pflegeheim oder Aufgabe des Berufs.

Das Beispiel zeigt, dass die Budgetkürzung nicht nur für die betroffenen Pflegebedürftigen ein herber Schlag wäre. Es wäre auch ein gesellschaftspolitischer Rückschritt, wenn Angehörige hierdurch in Teilzeit gingen oder ihren Arbeitsplatz aufgeben müssten, weil sie sich die Zuzahlungen für die Tagespflege nicht mehr leisten könnten. Ob es einen volkswirtschaftliche Nutzen dabei gibt bleibt fraglich, da den angestrebten Einsparungen der Ausfall an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen gegenzurechnen wäre.

Zusätzlich zu dieser Vielzahl an persönlichen Schicksalen würde auch vielen Betreibern von Tagespflegen die wirtschaftliche Grundlage entzogen. Es würden nicht nur Existenzen vernichtet, sondern voraussichtlich auch insbesondere eher kleinere Einrichtungen mit familiärem Charakter aufgegeben.

Petition gestartet: Mit einer Petition und verschiedenen regionalen Unterschriftenaktionen soll Einfluss auf das Gesetzgebungsverfahren genommen werden. Die Petition ist zu finden unter: https://www.openpetition.de/petition/online/keine-kuerzung-der-pflegesachleistungen-tagespflege .¹

„Es geht jetzt um die Existenz vieler Pflegeeinrichtungen“

„Wenn das Gesetz unverändert verabschiedet wird, hat das dramatische Auswirkungen für die Betreiber von Pflegeheimen und ambulanten Diensten. Die Auswirkungen auf die Versorgung der Pflegebedürftigen mag man sich dann lieber nicht ausmalen. Um es ganz deutlich zu sagen: Es geht jetzt um die Existenz der schwer betroffenen Pflegeeinrichtungen.“ Das sagt Bernd Meurer, Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste e. V. (bpa), anlässlich der heutigen Anhörung zum Gesetzentwurf „zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen“. Der bpa begrüßt die Verlängerung vieler Regelungen und Maßnahmen zur Bewältigung der Coronapandemie, kritisiert aber entschieden, dass die Finanzierung von Mindereinnahmen durch den Pflegerettungsschirm künftig faktisch entfallen würde.

Nach dem Gesetzentwurf sollen den zugelassenen Pflegeeinrichtungen nur noch solche Mindereinnahmen erstattet werden, die unmittelbar aus der Umsetzung behördlicher Maßnahmen sowie landesrechtlicher Regelungen zur Verhinderung von Coronainfektionen entstehen. Diese Voraussetzung ist von der Pflegekasse vor der Auszahlung der Erstattung zu überprüfen.

Meurer: „Der bpa lehnt diese Regelung entschieden ab. Sie ist unnötig, bürokratisch und setzt vollkommen falsche Signale. Statt die Pflegeeinrichtungen weiterhin uneingeschränkt dabei zu unterstützen, die Versorgung aufrechtzuerhalten, wird eine finanzielle Gefährdung dieser Einrichtungen riskiert. Dies steht in einem eklatanten Widerspruch zu den bisherigen Aussagen der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen sowie des Großteils des Gesetzentwurfs. Die systemrelevante pflegerische Infrastruktur braucht verlässliche Rahmenbedingungen und darf in diesen Zeiten nicht leichtsinnig aufs Spiel gesetzt werden. Zudem wäre das ein katastrophales Zeichen in Richtung der Beschäftigten.“

Die faktische Streichung des Anspruchs auf den Ausgleich coronabedingter Mindereinnahmen führt unmittelbar zu einer finanziellen Gefährdung gerade der Einrichtungen, die besonders hart betroffen sind. Da insbesondere in vielen Heimen bereits erfolgreich geimpft wurde, ist mit einem deutlichen Rückgang behördlicher Anordnungen zu rechnen. Was aber bleibt, sind Leerstände von bis zu 30Prozent. „Hinzu kommt, dass viele Pflegeeinrichtungen schon jetzt deutliche Verluste unverschuldet in Kauf nehmen müssen, weil diese im Rettungsschirm nicht berücksichtigt wurden. Für Ausfälle bei den Investitionskosten gab es nie einen Ersatz“, sagt der bpa-Präsident.

Coronabedingte Mindereinnahmen künftig danach zu unterteilen, ob diese durch landesrechtliche Regelungen und behördliche Maßnahmen unmittelbar entstanden sind oder beispielweise durch Corona-Erkrankungen der Pflegebedürftigen, wird zu langwierigen Auseinandersetzungen mit den genehmigenden Pflegekassen führen. So ist nicht einmal klar, ob z.B. die Empfehlungen des RKI oder die mit den Gesundheitsämtern abgestimmten Hygienekonzepte als behördliche Auflage anerkannt werden. In der Konsequenz führen dann notwendige Infektionsschutzmaßnahmen der Einrichtungen bei fehlenden eindeutigen Verordnungen oder behördlichen Anweisungen direkt zur Existenzgefährdung.

Meurer: „Der Gesetzgeber ist dringend aufgefordert, die beabsichtigten Neuregelungen zu streichen, weil das Signal an die Pflegeeinrichtungen fatal wäre. Stattdessen muss das bestehende Kostenerstattungsverfahren komplett verlängert werden.“

Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa) bildet mit mehr als 12.000 aktiven Mitgliedseinrichtungen die größte Interessenvertretung privater Anbieter sozialer Dienstleistungen in Deutschland. Einrichtungen der ambulanten und (teil-)stationären Pflege, der Behindertenhilfe sowie der Kinder- und Jugendhilfe in privater Trägerschaft sind systemrelevanter Teil der Daseinsvorsorge. Als gutes Beispiel für Public-private-Partnership tragen die Mitglieder des bpa die Verantwortung für rund 365.000 Arbeitsplätze und circa 27.000 Ausbildungsplätze (siehe www.youngpropflege.de oder auch www.facebook.com/Youngpropflege). Die Investitionen in die soziale Infrastruktur liegen bei etwa 29 Milliarden Euro.¹

¹Pflegezentrum Möhring  ²bpa – Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V.

DasParlament

Kommentar verfassen