Man hat kein gutes Gefühl, wenn die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei nun „normalisiert“ werden sollen. Nicht vergessen sind die Beschimpfungen und Beleidigungen Erdogans in Richtung Bundesregierung. Nicht vergessen das Hickhack um die Wahlkampfauftritte seiner türkischen Mehrheitspartei. Und erst recht nicht die willkürlichen Verhaftungen von Deutschen, die ohne Anklage seit langem hinter türkischen Gittern sitzen. Der Herrscher aus Ankara hat sich einfach zu viel herausgenommen, als das man flott wieder gut Freund werden kann. Zumal es offensichtlich nur der dramatische Fall der türkischen Lira ist, der Erdogan in die Bedrängnis bringt – und freundlicher macht. Das alles wirkt ziemlich schäbig.
Und dennoch gibt es einige Gründe, das Verhältnis wieder in vernünftiges Fahrwasser zu lenken. Nicht nur, weil die Bande zwischen den Staaten traditionell und eng sind und sehr viele Türken hier leben. Die derzeitige Schwäche Erdogans ist auch eine Chance für die Opposition in seinem Land. Zugeständnisse von deutscher Seite darf es also nur geben, wenn der mächtige Staatschef das Imponiergehabe aufgibt, die Gefangenen frei lässt und Rechtsstaatlichkeit nicht mehr nur auf dem Papier steht. Auch im Syrienkrieg muss Erdogan mäßigend und nicht mehr anheizend wirken. Wenn all das erfüllt wird, kann man wieder intensiver mit ihm reden. Ansonsten muss der Kurs hart bleiben. Außenminister Heiko Maas steht vor einer großen Aufgabe.¹
Die Frankfurter Hilfs- und Menschenrechtsorganisation kritisiert die von der Bundesregierung angestrebte Normalisierung der Beziehungen zur Türkei.
„Menschenrechte dürfen nicht zugunsten von wirtschaftlichen und strategischen Interessen geopfert werden. Die kritische Zivilgesellschaft in der Türkei ist weitestgehend verboten und inhaftiert. Der Einsatz für Menschenrechte und demokratische Beteiligung darf nicht unter Strafe gestellt werden. Dies sollte das oberste Gebot für die Zusammenarbeit beider Staaten sein“, sagt Anita Starosta von medico international.
Beim Treffen des deutschen Außenministers mit dem türkischen Präsidenten Erdogan und seinen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu in Türkei müsse sich Maas für die Freilassung aller politischer Gefangen einsetzen, auch wenn sie keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Die lokalen medico-Partner können ihre Arbeit zzt. nur unter schwierigsten Bedingungen fortsetzen. Die überwiegende Mehrheit der Partnerorganisationen ist aktuell verboten, vor allem wenn sie sich für die Rechte der kurdischen Minderheit einsetzen.
Zwar seien die Rüstungsexporte an die Türkei in diesem Jahr zurückgegangen, eine Garantie für einen Auslieferungsstopp gibt es bisher jedoch nicht. Beim türkischen Einmarsch im syrischen Afrin kam auch der deutsche Leopard-Panzer in einem völkerrechtswidrigen Einsatz zum Einsatz. Noch immer unterstützt medico die Nothelfer in einem Flüchtlingslager von etwa 100.000 Menschen, die aus Afrin fliehen mussten und nun obdachlos sind. „Wir fordern den Stopp aller Rüstungsexporte in die Türkei“, so Starosta und weiter: „Außerdem muss es für die Flüchtlinge aus Afrin wieder eine Perspektive der Rückkehr geben. Diese gibt es jedoch nur, wenn sich die Türkei und die ihr nahestehenden Milizen, aus dem Gebiet zurückziehen.“
Gegenstand der Gespräche zwischen Maas und seinem Amtskollegen soll ebenfalls die Situation der Flüchtlinge im syrischen Idlib sein. Sollten Assad-Truppen und Russland die Region angreifen, werden die Hunderttausenden Binnenflüchtlinge als letzten Ausweg in die Türkei fliehen müssen. Bisher versperrt die Türkei diese Route. Auch medico-Partner werden am Grenzübertritt gehindert. „Die Flüchtlinge in Idlib haben bereits brutale Kriegserlebnisse hinter sich und brauchen einen sicheren und menschenwürdigen Aufenthaltsort jenseits von Krieg und Verfolgung. Statt den nächsten schmutzigen Flüchtlingsdeal mit der Türkei auszuhandeln, muss die die Bundesregierung sich für eine Aufnahme in Europa einsetzten“, so medico-Pressesprecherin Katja Maurer.²
¹Manfred Lachniet – Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung ²medico international
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