Kritik an Merkels Nein zur Rente mit 70

Wahlkampf in Deutschland

Der Wirtschafts-Sachverständigenrat der Bundesregierung habe vorgeschlagen, das Renteneintrittsalter an die fernere Lebenserwartung zu koppeln, sagte auch der Wirtschaftsweise Lars Feld der Redaktion. „Das ist keine Rente mit 70, aber könnte je nach demografischer Entwicklung darauf hinauslaufen“, sagte der Freiburger Ökonom. Merkel hatte sich am Sonntagabend beim TV-Duell mit SPD-Chef Martin Schulz darauf festgelegt, dass die Union die Rente mit 70 nicht anstrebe. Rheinische Post

Wahlkampf in Deutschland

Bitte geht trotzdem wählen“ twittert eine junge Berlinerin fast flehentlich, als das große TV-Duell vorüber ist. Statt eines großen Showdowns politischer Kontrahenten erlebten gut 16 Millionen Fernsehzuschauer ein einträchtiges Duo, das man sich auch gut beim gemeinsamen Kartoffelsuppelöffeln am Holztisch in der Uckermark vorstellen kann. Mit den Spitzenpolitikern einer GroKo, die sich im Geiste bereits auf eine weitere gemeinsame Legislaturperiode einstimmen, ist kein feuriger Wahlkampf zu machen. Der Gillamoos und der abendliche Fünfkampf in der ARD tags darauf zeigten deutlich: In diesem Jahr sind es die Kleinen, die Zunder geben müssen. Und selbst das reicht nur noch für ein gelegentliches Aufflackern. Für einen heißen Wahlkampf 2017 ist es schon zu spät. Die Erwartungen an das TV-Duell waren überzogen. Es war absehbar, dass Merkel und Schulz kein schweres Gerät auffahren würden. Schließlich wurde die deutsche Politik der vergangenen Jahre von beiden Parteien getragen. Mit kleineren Gefechten war zu rechnen.

Dass es in der direkten Konfrontation dann allerdings nur für nadelfeine Piekser reichte, das überraschte doch. Gewiss wurde in noch keinem TV-Duell so häufig zustimmend genickt, wenn der Kontrahent sprach. Schulz‘ gelegentliche Angriffslust perlte an Merkels selbstsicherer Gelassenheit ab. Unter den vier Moderatoren herrschte da mehr Spannung. Den unangenehm voreingenommenen Claus Strunz hatten die Kollegen nicht im Griff. Dass die Debatte sich unverhältnismäßig lange an der Flüchtlingspolitik der Vergangenheit aufhielt und Zukunftsthemen hinten herunterfielen, lag auch an ihm. Unentschlossene haben trotz 97 Minuten Politik auf vier Kanälen kaum entscheidende Impulse für ihre Wahlentscheidung erhalten. Das klappte beim Gillamoos schon besser. Die Bierzelt-Redner lieferten wenigstens teilweise nach, was am Vorabend inhaltlich versäumt worden war. Soziale Gerechtigkeit, Bildung, Klimaschutz, Digitalisierung – in Abensberg kamen auch diese Politikfelder zur Sprache. So kurz vor der Wahl wurde natürlich die erste Garde in die Bierzelt-Bütt geschickt. Für Grüne, Linke, FDP und AfD geht es noch um viel: darum, drittstärkste Kraft und vielleicht das Zünglein an der Waage zu werden. Sie klopften ordentlich auf den Busch.

Es gehört zur Gillamoos-Folklore, beim Bier und auch rhetorisch etwas kräftiger zuzupacken. Eine Ruckrede gelang trotzdem keinem der Redner. Nicht einmal vor der eigenen Fankurve und mit der Lizenz zum Hinlangen. Mit Themen punkten – das scheint 2017 so schwer wie selten zuvor. Zu saturiert ist das Land, zu wohlig brummt die Wirtschaft. Aus dem Flüchtlingsstrom ist ein Rinnsal geworden und bis zur Rente ist es ja noch ein paar Jahre hin. Wo Gefahr lauert, schickt die Kanzlerin rasch den Minenräumdienst: Ehe für alle, Diesel-Millionen für die Kommunen, vielleicht doch noch ein Ausstieg aus den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, nachdem Martin Schulz das so forsch erklärt hat. Und auf keinen Fall die Rente mit 70 – obwohl die Forderung doch aus der eigenen Partei kommt. So ist die Zielgerade für die alte und neue Kanzlerin frei.

Die einzigen Überraschungen in diesem Wahlkampf sind zwei neue Köpfe – junge, dynamische Männer mit Drei-Tage-Bart und lässig offenem weißen Hemd: Christian Lindner und Karl-Theodor zu Guttenberg, die smarten Posterboys der FDP und der CSU. Sie tauchen auf wie Phönix aus der Asche und werden – auch am Gillamoos – begeistert gefeiert. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass die deutschen Wähler zwar diesmal noch auf Nummer sicher gehen – dass ihre Sehnsucht nach neuen, unverbrauchten Gesichtern aber schon jetzt sehr groß ist und immer weiter wächst. Claudia Bockholt – Mittelbayerische Zeitung

Nach der Wahl

Im Wahlkampf sind Merkel und Schulz Konkurrenten. Aber schlecht verstehen sie sich nicht. Das liegt nicht daran, dass beide in der wohl kuriosesten Situation der Sendung erklärten, am Sonntag nicht in der Kirche gewesen zu sein, aber beide am Wochenende zum Totengedenken ein Gotteshaus besuchten. Es liegt daran, dass die beiden Volksparteien ohnehin große Schnittmengen haben. Es liegt an der Bereitschaft beider, aufeinander zuzugehen. Es kann also sein, dass die dann dritte Neuauflage einer CDU/CSU-SPD-Regierung unter Merkel bevorsteht, auch wenn sich die Regierungspartner voneinander erschöpft zeigen. Auch wenn neue Konstellationen mit Sicherheit frische Ansätze hervorbringen würden. Auch wenn ein Zusammenschluss der beiden Großen als erdrückender, Vielfalt verhindernder Koloss gilt. Frankfurter Rundschau

 

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