Koalition im Krisenmodus: Nachverhandlung zum Aussetzen des Familiennachzugs von Flüchtlingen

Grüne und Linke ärgern sich

Koalition im Krisenmodus: Nachverhandlung zum Aussetzen des Familiennachzugs von Flüchtlingen

So hatte sich das Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) wohl nicht vorgestellt: Sein Abstimmungsverhalten im Bundesrat, bei dem er eine Nachverhandlung zum Aussetzen des Familiennachzugs von Flüchtlingen nicht unterstützte, führt im Berliner Senat zu einem Beben der Stärke fünf auf der nach oben offenen Richterskala.

Grüne und Linke ärgern sich vehement über das Vorgehen des Regierenden Bürgermeisters. Die beiden Parteien, die für einen Nachzug von Flüchtlingen sind, deuten Müllers Abstimmungsverhalten als Chefgehabe. Schon während der Sitzung hatte Linke-Kultursenator Klaus Lederer sein Bedauern über Berlins Abstimmungsverhalten ausgedrückt – und war damit Müller in den Rücken gefallen.

In der Senatssitzung am gestrigen Dienstag knallte es dann gewaltig. Grüne und Linke sehen in Müllers Verhalten genau die Art zu regieren, die sie beim Eingehen in die Dreier-Koalition ausgeschlossen hatten: Nämlich einer ist der Chef, die anderen müssen folgen. Vielleicht hat Müller sein Abstimmungsverhalten und vor allem die Reaktion seiner Koalitionspartner darauf unterschätzt.

Vielleicht nimmt er das Beben auch in Kauf, da der Antrag im Bundesrat ohnehin keine Mehrheit erzielen konnte. Eines zeigt der Konflikt aber: Innerhalb der rot-rot-grünen Koalition herrscht weiterhin ein großes Misstrauen, man agiert im Krisenmodus. Noch steht in Berlin die Koalition. Doch die Risse nehmen wieder zu. Gilbert Schomaker – Berliner Morgenpost

Bundesrat billigt Aussetzung des Familiennachzugs bis Juli 2018

Der Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus bleibt bis Ende Juli 2018 ausgesetzt. Der Bundesrat billigte am 2. März 2018 einen entsprechenden Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages vom 1. Februar 2018. Dieser geht auf einen Kompromiss von CDU, CSU und SPD aus den Koalitionsverhandlungen zurück.

Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen

Bis zum 31. Juli 2018 bleibt es dabei, dass Flüchtlinge, die keinen vollen, sondern nur einen so genannten subsidiären Schutz in Deutschland erhalten, ihre nahen Angehörigen nicht nachholen dürfen. Ab dem 1. August 2018 sollen monatlich insgesamt 1000 Ehepartner und minderjährige Kinder subsidiärer Flüchtlinge oder Eltern minderjähriger Flüchtlinge eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erhalten. Die Einzelheiten dazu sollen in einem weiteren Bundesgesetz geregelt werden.

Die Aussetzung des Familiennachzugs hatte der Bundestag 2016 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise beschlossen – damals eigentlich befristet bis zum 16. März 2018. Diese Frist wird nun um viereineinhalb Monate verlängert.

Härtefallregeln unberührt

Die Härtefallregelungen des Aufenthaltsgesetzes, die eine Aufenthaltserlaubnis aus dringenden humanitären Gründen zulassen, bleiben unberührt. Gleiches gilt für die Möglichkeit für oberste Landesbehörden, aus humanitären Gründen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis anzuordnen. Sie werden nicht auf das Kontingent angerechnet.

Wer ist „subsidiär Schutzberechtigter“?

Nach dem Asylgesetz erhält eine Person dann subsidiären Schutz, wenn sie stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihr in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

Unterzeichnung und Verkündung

Mit dem Bundesratsbeschluss ist das parlamentarische Verfahren beendet. Das Gesetz wird nun über die Bundesregierung dem Bundespräsidenten zugeleitet und kann nach dessen Unterzeichnung im Bundesgesetzblatt verkündet werden und anschließend in Kraft treten. Bundesrat

Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten verstößt gegen Grund- und Menschenrechte

Ein im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes erstelltes Rechtsgutachten stellt fest, dass das „Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten“ mehrere Grund- und Menschenrechte verletzt. Demnach verstößt das am 01.02.2018 vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetz gegen Artikel 6 des Grundgesetzes, Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie Artikel 3 und 10 der UN-Kinderrechtskonvention. „Mit der Verabschiedung des Gesetzes wurden Grund- und Menschenrechte zur Disposition gestellt und damit in Kauf genommen, dass Menschen – und insbesondere Kinder – in ihren Rechten verletzt werden“, betont Anne Lütkes, Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes. Mit dem „Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten“ befasst sich der Bundesrat in seiner morgigen Sitzung.

Das Gutachten legt dar, dass sowohl die angestrebte Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten bis zum 31.07.2018 als auch die anschließend geplante Begrenzung des Familiennachzugs auf 1.000 Personen im Monat mit Grund- und Menschenrechten, insbesondere dem Kindeswohl, nicht vereinbar ist. Daran ändert auch der Verweis auf die Härtefallklausel nach § 22 Aufenthaltsgesetz nichts. Denn auch diese ist nicht geeignet, das nötige behördliche Ermessen herbeizuführen, da sie von ihrer Konzeption her einen völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Grund voraussetzt. „Die Praxis der vergangenen zwei Jahre hat gezeigt, dass die Härtefallklausel nur äußerst selten in besonderen Ausnahmefällen zum Zuge kommt, und damit den Kindern nicht hilft, ihre Familie nach Deutschland nachzuholen“, so Lütkes. Sobald Kinder von Entscheidungen zum Familiennachzug betroffen sind, muss aber das Kindeswohl eine wesentliche Leitlinie für Entscheidungsprozesse sein. Dabei ist das Kindeswohl bei der Abwägung im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung vorrangig zu berücksichtigen. Problematisch ist zudem, dass es Betroffene sehr schwer haben, bei Behörden und vor Gerichten angehört zu werden.

„Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1987 ergibt sich im Hinblick auf die Dauer der Trennung von Familien, dass eine Wartezeit von drei Jahren bei Ehegatten den Rahmen der Angemessenheit weit überschreitet. Im Hinblick auf die Bedeutung des Kindeswohls dürften bei Minderjährigen strengere Maßstäbe gelten. Die Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs über zwei Jahre hinaus ist auch insofern nicht mit den Grund- und Menschenrechten vereinbar“, so Lütkes weiter.

Das Gutachten „Kinderrechtliche Aspekte zum Thema Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten nach § 104 Abs. 13 AufenthG“ wurde im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes von der Menschenrechtsorganisation JUMEN e.V. – Juristische Menschenrechtsarbeit in Deutschland erstellt. Es kann unter www.dkhw.de/familiennachzug heruntergeladen werden. Deutsches Kinderhilfswerk e.V.

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