Strafen, strafen, strafen – das scheint das Lieblingsmotto vieler Verwaltungsbeamter in der Bundesagentur für Arbeit und im Bundesarbeitsministerium zu sein. Zumindest wer den am Mittwoch bekannt gewordenen Entwurf der beiden Institutionen zu den Hartz-IV-Sanktionen liest, bekommt diesen Eindruck. Da werden Regelsatzkürzungen bis weit über 30 Prozent erwogen, bis hin zur Totalsanktion.
Es ist ein skandalöses Papier. Damit bewegen sich die zuständigen Verfasser*innen mindestens am Rande der Verfassungsmäßigkeit, sehr wahrscheinlich sogar jenseits davon. Die aberwitzige Logik dahinter beruht wohl darauf, dass Sanktionen wegen Meldeversäumnissen nicht Teil des Prozesses vorm Bundesverfassungsgericht waren. Nur Kürzungen wegen Verstößen gegen Mitwirkungspflichten waren Thema. Doch die Verwaltung nutzt dieses Nichtbehandeln nicht im Sinne der Menschen – sondern gegen sie. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht Sanktionen über 30 Prozent als »verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen« bezeichnet.
Es ist nur gut, dass Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) noch am Morgen des Bekanntwerdens die Reißleine gezogen und klargestellt hat, dass es keine Kürzungen der Grundsicherung über 30 Prozent geben wird. Doch ein Eindruck bleibt: In den Behörden sitzen Menschen, die nicht gewillt sind, die Verfassung auch nur einen Bruchteil im Sinne von Erwerbslosen oder Aufstocker*innen auszulegen.
Das Bundesarbeitsministerium (BMAS) hat die Jobcenter aufgefordert, bis zur Auswertung des Urteils die Entscheidungen Hartz-IV-Sanktionen vorerst keine neuen Sanktionsbescheide zu vollstrecken. „Entscheidungen über Sanktionsbescheide nach §§ 31 bis 31b SGB II sind vorerst zurückzustellen“, erklärte ein Sprecher der Behörde gegenüber der in Berlin erscheinenden Tageszeitung »neues deutschland«. Es ist allerdings nur ein vorübergehender Sanktionsstopp. Verfahren wegen Regelverstößen seien weiterhin einzuleiten oder fortzuführen, so ein Sprecher des BMAS. Laufende Bescheide über der verfassungsgemäßen 30-Prozent-Grenze sollten zudem auf die zulässige Höhe heruntergesetzt werden. Sanktionen, die wegen Meldeversäumnissen verhängt werden, sind nicht betroffen von der Ankündigung. Ob und inwieweit die Grundsätze des Urteils auch Leistungsminderungen aus solchen Gründen betreffen, werde aber geprüft, so das BMAS.
Die LINKE-Chefin Katja Kipping forderte gegenüber „neues deutschland“ ein Sanktionsmoratorium. »Die sicherste Lösung für die Hartz-IV-Betroffenen wie für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern wäre jetzt ein vorübergehendes Sanktionsmoratorium, also eine Aussetzung aller Sanktionen. In der Zwischenzeit sollte das Sozialministerium einen Gesetzentwurf zur Umsetzung des Urteils unterbreiten«, sagte Kipping. Im Rahmen dieses Verfahrens werde sich die LINKE »für die vollständige Sanktionsfreiheit« einsetzen.¹
¹neues deutschland