Jeder Vierte fällt bei Jobverlust direkt in die Grundsicherung: Für einen Sozialstaat wie Deutschland ist diese Zahl alarmierend. Sie zeigt, wie schwer es viele Menschen haben, auf dem Arbeitsmarkt Tritt zu fassen. Nicht wenige hangeln sich von Minijob zu Minijob – den finanziellen Abgrund stets vor Augen. Die Forderung der Grünen nach einer Reform klingt verlockend. Nach vier Monaten Arbeit zwei Monate volle Unterstützung aus der Gemeinschaftskasse: So wird das soziale Netz dichter. Doch diese Rechnung geht nicht auf. Erstens: Die Reform nützt nur Besserverdienern, die ein so hohes Arbeitslosengeld erhalten, dass sie ihren Lebenunterhalt selbst bestreiten können.
Geringverdiener würden weiterhin fast leer ausgehen. Zweitens: Die Kosten sind so hoch, dass entweder langjährig Versicherte schlechter gestellt oder die Beitragssätze erhöht werden müssten. Das eine ist ungerecht, das andere macht Arbeit in Deutschland im internationalen Vergleich nur teurer. Nein, nicht Alimente, sondern Arbeit muss das Ziel sein. Deshalb ist der Vorstoß aus dem Arbeitsministerium zu begrüßen, ehemaligen Hartz-IV-Empfängern auch nach Jobantritt zu helfen. Denn die beste soziale Sicherung besteht darin, gar nicht erst wieder arbeitslos zu werden. Westfalen-Blatt
Paritätischer begrüßt aktuellen Beschluss des Sozialgerichts Gotha und fordert Abschaffung der Sanktionen
Als möglicherweise bahnbrechend begrüßt der Paritätische Wohlfahrtsverband den Beschluss des Sozialgerichts Gotha, das die bestehenden Sanktionsregelungen in Hartz IV für verfassungswidrig hält und daher in dieser Frage am Mittwoch das Bundesverfassungsgericht angerufen hat. Der Verband fordert die Abschaffung der Sanktionen und eine arbeitsmarktpolitische Offensive zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit.
„Spätestens mit den massiven Kürzungen bei den Hilfen für Langzeitarbeitslose seit 2010 und der daraus folgenden Zweiklassenarbeitsmarktpolitik ist das Prinzip des Forderns und Förderns von der Bundesregierung aufgegeben worden. Damit ist das Recht auf Sanktionen verwirkt“, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. Angesichts einer Förderquote von mittlerweile nur noch 9 Prozent und einer Vermittlungsquote von gerade einmal 14 Prozent seien Sanktionen nicht länger zu rechtfertigen. „Wenn die Jobcenter den Betroffenen keine echte Perspektive anbieten können, sind Sanktionen nicht nur sinnlos, sondern geradezu unredlich. Bei den Sanktionen handelt es sich keinesfalls um eine Petitesse“, betont Schneider. „Hier werden Menschen tatsächlich unter die Armutsgrenze gedrückt.“
Der Verband fordert die komplette Abschaffung der Sanktionen und einen arbeitsmarktpolitischen Kurswechsel. „Statt sinnlose Sanktionen brauchen wir eine arbeitsmarktpolitische Offensive, die den Menschen echte Perspektiven eröffnet“, fordert Schneider. Notwendig seien eine neuerliche Instrumentenreform und eine deutliche Aufstockung des Eingliederungstitels für Maßnahmen zur Integration Langzeitarbeitsloser. „Wir brauchen insbesondere mehr Qualifizierungsmöglichkeiten, die Möglichkeit längerfristiger Förderung sowie einen Ausbau öffentlich geförderter Beschäftigung“, so Schneider. Nach Schätzungen des Paritätischen bedürfte es eines zusätzlichen Finanzvolumens von mindestens drei Milliarden Euro, um ein entsprechendes Hilfsangebot zu finanzieren. Gwendolyn Stilling