In der SPD gibt es mit Blick auf die Spitzenkandidatur im kommenden Jahr nicht viele Alternativen. Zahlreiche wichtige Genossen haben durchblicken lassen, dass sie Finanzminister Olaf Scholz für den geeigneten Mann halten. Das ist durchaus merkwürdig. Denn vor nicht allzu langer Zeit hat die Mehrheit der Parteimitglieder Scholz das Misstrauen ausgesprochen. Anstelle von Scholz und Klara Geywitz wurden die Parteilinken Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken zu den neuen Vorsitzenden gewählt.
Doch das Duo hat innerhalb des Führungsapparats der SPD kaum Macht. Einflussreiche Bundesminister und die Ministerpräsidenten der Länder geben den Ton an. Sollte die Wahl tatsächlich auf Scholz fallen, hätten die Genossen gleich mehrere Probleme im Wahlkampf. Denn der Hamburger ist nicht nur bei der Mehrheit der eigenen Basis unbeliebt, sondern ihm könnte wegen des Skandals um das Unternehmen Wirecard auch ein Untersuchungsausschuss drohen, bei dem Scholz weitere unangenehme Fragen beantworten müsste, zum Beispiel zum Versagen der Bundesfinanzaufsicht.
Nun rächt sich, dass die Sozialdemokraten nach der Wahl von Esken und Walter-Borjans keinen Bruch mit der Großen Koalition und keinen radikalen Neuanfang gewagt haben.¹
Der FDP-Politiker Florian Toncar hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) vorgeworfen, bei der Aufklärung des Wirecard-Skandals zu mauern. Das Finanzministerium beantworte Fragen der Opposition bisher nur scheibchenweise und rücke das Verhalten der Finanzaufsicht Bafin in den Vordergrund statt eigene Versäumnisse einzugestehen, sagte Toncar der Düsseldorfer „Rheinischen Post“.
Der FDP-Politiker sieht eine Erklärung dafür jetzt auch in der Kanzlerkandidatur von Scholz. „Er will um jeden Preis das Image des sauberen Regierungshandelns erhalten“, sagte Toncar. „Wie Scholz zu sagen, jeder habe einfach nur seinen Job gemacht, ist nicht überzeugend. Es gab bis zur Insolvenz im Juni 2020 eine auffällige Zurückhaltung bei der Bafin gegenüber Wirecard und eine wohlwollende politische Unterstützung, obwohl die Vorwürfe schon seit Februar 2019 bekannt waren“, sagte der FDP-Finanzpolitiker. „Die Rolle von Scholz in dem Skandal muss dringend aufgearbeitet werden. Wir brauchen dafür die vollen Befugnisse eines Untersuchungsausschusses“, forderte er.²
Dabei muss man der SPD nach den Turbulenzen vor Jahresfrist attestieren, dass Scholz unter allen möglichen Kandidaten – trotz Wirecard – der wohl beste ist. Einer, der sich den Stempel „sozial gerecht und wirtschaftlich stark“ verdient hat. Einer, der in der Corona-Krise kühlen Kopf behält und dabei durchaus sozialdemokratische Akzente zu setzen weiß. Das Problem ist nur: Es ist kaum ein dreiviertel Jahr her, dass der entscheidende Teil der SPD-Basis jenem Mann die Befähigung zum Führen der Partei abgesprochen hat, der jetzt ihrem Willen nach künftig die ganze Republik lenken soll. Damals setzten sich Esken und Walter-Borjans mit ihrer Kampfansage, der großen Koalition das Licht auszublasen, gegen Scholz durch, den der Vorwurf, zum schwarz-roten Establishment zu zählen, zum Verlierer machte.³
¹nd.DerTag / nd.DieWoche ²Rheinische Post ³Stuttgarter Nachrichten