DIW-Präsident Marcel Fratzscher hat angesichts des drastischen Exporteinbruchs im April davor gewarnt, die aktuelle Konjunkturschwäche in Deutschland zu unterschätzen. „Der starke Einbruch der Exporte zeigt die starke Verwundbarkeit der deutschen Volkswirtschaft“, sagte Fratzscher der Düsseldorfer „Rheinischen Post“. „Die meisten der neuen Wirtschaftsprognosen sind noch zu optimistisch. Viele realisieren nicht, dass der Neustart der Wirtschaft schmerzvoll und langsam von statten gehen wird“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). „Die große Offenheit beim globalen Handel ist in Krisenzeiten eine Schwäche für Deutschland“, sagte Fratzscher. „Auch deshalb muss es in Deutschlands Interesse sein, die Erholung der europäischen Wirtschaft durch einen überzeugenden Wiederaufbaufonds zu unterstützen und globale Handelskonflikte mit China und den USA zu vermeiden“, erklärte der Ökonom.
Das Konjunkturpaket bekommt eine Zwei plus
Donnerwetter. Die Koalition hat auf den Ökonomen-Rat gehört und nimmt mutig 130 Milliarden Euro für die Konjunktur in die Hand. Die Summe ist groß genug, um einen nennenswerten Impuls auszulösen. Er ist dringend notwendig, weil Investoren und Verbraucher nach dem Corona-Lockdown tief verunsichert sind. Vor 30 Jahren – in der Zeit der ideologischen Grabenkämpfe – wäre undenkbar gewesen, dass Union und SPD gemeinsam ein defizitfinanziertes, riesiges Konjunkturprogramm beschließen. Die Parteien haben dazugelernt.
Richtig ist, dass die Koalition auf branchenspezifische Lösungen weitgehend verzichtet und stattdessen einen breiten Ansatz zur Stimulierung der Nachfrage wählt. Eine Auto-Kaufprämie für Verbrenner wäre nicht nur klimapolitisch falsch gewesen, sie hätte auch die Frage aufgeworfen, warum es keine Prämien für Kühlschränke oder Fahrräder gibt. Die Koalition schaffte es allerdings nicht ganz, der Autoindustrie gar nichts anzubieten – und so wird die schon jetzt unwirksame Prämie für E-Autos noch einmal verdoppelt.
Sei’s drum. Herzstück des Pakets ist die unerwartete Senkung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte. Deren Befristung bis Jahresende kann Verbraucher und Unternehmen veranlassen, Käufe nicht weiter aufzuschieben – oder auf 2020 vorzuziehen. Das kann 2021 zum erneuten Nachfrageeinbruch führen, aber wichtiger ist jetzt die Gegenwart. Das Manöver wird nur funktionieren, wenn Anbieter ihre Preise entsprechend senken. Ob die Steuersenkung die erwünschte Wirkung hat, ist also fraglich. Positive Erfahrungen aus Großbritannien geben immerhin Anlass zur Hoffnung. Wirksam werden auf jeden Fall die massiven Steuererleichterungen für Unternehmen sein. Alles in allem verdient die Koalition die Note zwei Plus.¹
„Die Bundesregierung setzt mit ihrem Konjunktur- und Wachstumspaket ein starkes Signal für Bürger und Unternehmen. Dies wird die Wirtschaftsleistung schon im laufenden Jahr stabilisieren. Die Wirtschaftsleistung dürfte um real 6,5 Prozent sinken. Die Erholung wird sich bis weit ins Jahr 2022 erstrecken.
Die Corona-Krise trifft die Wirtschaft weltweit mit voller Wucht. Dies wird in diesem Jahr zu einem Minus der deutschen Exporte um etwa 15 Prozent und zu einem Rückgang der Importe um ungefähr zwölf Prozent führen. Bei Ausrüstungsinvestitionen rechnet der BDI mit einem Einbruch von rund 20 Prozent. Den privaten Konsum erwarten wir mit sieben Prozent im Minus.
Weitere Stützungsmaßnahmen müssen auf der Agenda bleiben. Trotz richtiger Konsum- und Investitionsanreize bleiben die Möglichkeiten der Verlustverrechnung zu gering. Hier muss der Gesetzgeber im Jahresverlauf deutlich nachlegen, um Liquidität zu sichern und das Insolvenzrisiko zu verringern.
Zehnjähriges Wachstumsprogramm und Unternehmenssteuerreform müssen kommen. Um der absehbar mehrjährigen Schwäche der weltwirtschaftlichen Nachfrage, der Investitionstätigkeit und des Außenhandels kraftvoll gegenzusteuern, bleibt ein groß angelegtes zehnjährigen Investitionsprogramm im Volumen von etwa ein bis 1,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung vordringlich. Notwendig sind weiterhin die strukturelle Reform und die Senkung der Unternehmenssteuern auf 25 Prozent.“²
¹Birgit Marschall – Rheinische Post ²BDI Bundesverband der Dt. Industrie