Der Türkei-Deal hat die EU erpressbar gemacht

EU-Gipfel: Internationaler Appell fordert Ende des EU-Türkei-Deals und Evakuierung der griechischen Flüchtlingslager

Zum bereits dritten Mal seit 2016 lässt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Panzer nach Syrien rollen. Eine Invasion, die möglich wurde, weil US-Präsident Donald Trump seine kurdischen Verbündeten verriet, denen Erdogan jetzt mit „Vernichtung“ droht. Die möglichen Folgen sind katastrophal. Die türkische Aggression eröffnet eine neue Phase im syrischen Bürgerkrieg, und alles spricht dafür, dass sie das geschundene Land dem Frieden nicht näher bringen wird. Und machen wir uns nichts vor: Das werden wir auch in Europa zu spüren bekommen. Es drohen Spannungen zwischen Kurden und Türken in deutschen Städten.

Es könnte zu neuen Flüchtlingswellen über das Mittelmeer kommen. Und sollte der bisher von den kurdischen Kämpfern in Schach gehaltene Islamische Staat wieder erstarken, wächst auch die Terrorgefahr. Auf Kritik an seinem völkerrechtswidrigen Einmarsch in Syrien reagiert Erdogan freilich fuchsteufelswild. Seine nicht zum ersten Mal geäußerte Drohung, Europa mit Millionen Flüchtlingen zu überschwemmen, ist nichts anderes als politische Nötigung. Das Türkei-Abkommen, mit dem sich die EU seit 2015 Hunderttausende Flüchtlinge vom Hals hält, hat uns erpressbar gemacht. Erdogan ist sich seiner Sache so sicher, dass er nun sogar gefordert hat, die Europäer möchten doch auch für die Verwirklichung seiner Kriegsziele bezahlen.

Bis zu zwei Millionen syrischer Flüchtlinge, die in der Türkei inzwischen nicht mehr so gerne gesehen werden, will er in den eroberten Gebieten ansiedeln. Bis zu 25 Milliarden Euro soll das kosten. Das macht deutlich: Solange die Europäer nicht endlich mit energischem Grenzschutz und einer solidarischen Asylrechtsreform die Initiative in der Migrationspolitik zurückgewinnen, so lange wird uns der Autokrat aus Ankara vorführen.¹

Wegen des andauernden Krieges in Nordsyrien hat sich eine Gruppe von Intellektuellen, Aktivisten und Kulturschaffenden mit einem Appell an die europäische Öffentlichkeit gewandt. Der Angriff der türkischen Armee auf die Kurden sei nicht nur „Erdogans Krieg“, sondern der jüngste „Ausdruck des Totalversagens europäischer Migrations- und Außenpolitik“. Die Unterzeichner fordern anlässlich des heute beginnenden EU-Gipfels das Ende der EU-Partnerschaft mit dem türkischen Präsidenten, das sofortige Ende des EU-Türkei-Deals sowie die Evakuierung der Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln.

Der Appell mit dem Titel „Das Versagen beenden“, den die Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international gemeinsam mit dem „Netzwerk für kritische Migrationsforschung“ kritnet herausgegeben hat, wird von namhaften internationalen Persönlichkeiten unterstützt, darunter der UN-Berater Jean Ziegler, die Seenotrettungs-Kapitäninnen Pia Klemp und Carola Rackete, die Journalistin Ferda Ataman, die Schriftsteller Dogan Akhanli und Ilija Trojanow, die Hamburger Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard, die Philosophen Antonio Negri und Etienne Balibar, die Migrationsforscher Michel Agier, Paul Mecheril und Helen Schwenken sowie zahlreiche weitere europäische Intellektuelle.

Auch zahlreiche türkische Wissenschaftler haben sich – trotz der dadurch drohenden Gefahren in der Türkei – dem Appell angeschlossen, so z.B. Orcun Ulusoy und Fatma Karakas-Dogan.

Der EU-Türkei Deal habe die EU erpressbar gemacht und auf Migrationsabwehr festgelegt. Die Unterzeichner fordern stattdessen, den Weg einer menschenrechtlich orientierten Flüchtlingspolitik einzuschlagen. Im Text heißt es: „Für Erdogan diente die organisierte Menschenverachtung der Europäischen Union schon länger als Blankoscheck zur Unterdrückung der demokratischen Opposition und Zivilgesellschaft im eigenen Land. Und nun also auch noch als Stillhalteabkommen zum Einmarsch türkischer Truppen in Syrien. (…) Die Alternative liegt auf der Hand: Eine menschenrechtsbasierte Außen-und Migrationspolitik in globaler Verantwortung.“ Es gehe darum, eine neue politische Grundlage für Migration nach Europa zu schaffen.²

¹Rheinische Post ²medico international

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