Corona-Ausbruch beim Fleischkonzern Tönnies

Tönnies kritisiert Corona-“Generalverdacht” gegen Fleischbranche

Mehr als 650 nachgewiesene Corona-Infektionen beim Fleischkonzern Tönnies: Das ist eine erschreckende Nachricht und zeigt, dass die Ansteckungsgefahr keinesfalls gebannt ist.

Zudem stellen sich viele Fragen. Wie kann es sein, dass das Virus sich so rasend schnell unter Mitarbeitern eines Betriebs ausbreitet, der Lebensmittel herstellt? Sind die Hygienevorkehrungen wirklich ausreichend? Und begünstigt die feucht-kalte Luft im Schlachthof die Ausbreitung des Erregers? Wenn ja – was erwartet uns alle dann im Herbst und Winter, wenn das Wetter wieder kalt und nass wird? Und nicht zuletzt: Wird tatsächlich genug getestet? Nicht nur freiwillig, sondern von Amts wegen?

Leidtragende des Corona-Ausbruchs sind nicht nur die betroffenen Mitarbeiter und ihre Angehörigen, sondern alle Familien mit Kindern im Kreis Gütersloh. Schulen und Kitas bis zu den Ferien dicht: Die mühsam in Teilen zurückgewonnene Normalität ist wieder verloren.

Für Entwarnung in Sachen Corona ist es also eindeutig zu früh. Gemeinsam ist noch viel Disziplin notwendig – weitere Rückschläge nicht ausgeschlossen.

Noch im Mai 2020 kritisierte Tönnies den Corona-„Generalverdacht“ gegen Fleischbranche

Die Ankündigung der NRW-Landesregierung, angesichts eines Corona-Ausbruchs in der Belegschaft des Westfleisch-Schlachthofes in Coesfeld Kontrollen von Arbeiter-Unterkünften und Tests sämtlicher Mitarbeiter aller Schlachtbetriebe landesweit durchzuführen, stößt bei Deutschlands größtem Fleischkonzern Tönnies auf Kritik. „Ich wundere mich darüber, dass unsere Branche hier unter Generalverdacht gestellt wird. Zumal die Politik uns zu Beginn der Corona-Krise signalisiert hat: Ihr seid systemrelevant und müsst eure Produktion aufrecht erhalten“, sagte Konzernlenker Clemens Tönnies im Mai 2020.

Für das Unternehmen bedeute das Corona-Tests alleine bei 6500 Beschäftigten am Stammsitz in Rheda-Wiedenbrück (Kreis Gütersloh). Etwa die Hälfte davon sind ausländische Werkvertragsarbeiter. „Wir sind offen dafür, die Tests durchzuführen, wenn wir damit eine Risikominimierung erreichen. Dann ist das in Ordnung“, erklärt Tönnies. Dabei gelte aber auch: „Der Kreis Gütersloh ist angesichts insgesamt niedriger Corona-Zahlen überhaupt kein so genannter Hot-Spot.“

Tönnies verweist zudem darauf, frühzeitig „ein ganz hohes Maß an Vorsorge getroffen“ zu haben. „Jetzt so zu tun, als wenn das Risiko bei den Schlachthöfen liegt, das halte ich für unredlich. Gleichwohl tun wir weiterhin alles, um die Gesundheit unserer Mitarbeiter und den Versorgungsauftrag aufrecht zu erhalten.“

Unter den weltweit 16.500 Beschäftigten des Tönnies-Konzerns habe es seit März vier bestätigte Corona-Fälle gegeben: „Zwei davon waren Rückreisende aus Tirol, zwei aus der Produktion an Außenstandorten. Wir haben sie und die Kontaktpersonen sofort isoliert.“

Der Konzern teste seine Mitarbeiter derzeit im eigenen Labor auf Antikörper. „Wir suchen quasi nach der berühmten Dunkelziffer, um zu sehen, haben unsere Maßnahmen gegriffen“, sagt Tönnies.

Anders als bei den Wettbewerbern Westfleisch im Kreis Coesfeld oder Vion in Schleswig-Holstein gebe es bei Tönnies keine großen Sammelunterkünfte für Arbeiter. „Der Großteil unserer Mitarbeiter wohnt in Drei- oder Vierzimmerwohnungen, verteilt auf Stadt und Umland. Großunterkünfte wie Kasernen oder ehemalige Jugendherbergen gibt es bei uns nicht“, erklärt Tönnies.

Eine kurzfristige Einzelunterbringung der Arbeiter hält der Konzernchef für schwierig umzusetzen. „Das ist mit der heißen Nadel gestrickt. Was mache ich zum Beispiel mit Ehepartnern, Pärchen oder Geschwistern. Die kann ich doch jetzt nicht zwangstrennen. Da sind wir im Dialog mit den Behörden.“

Derweil spürt der Fleischkonzern auch geschäftliche Auswirkungen der Corona-Krise. „Die Pandemie hat das Ernährungsverhalten erheblich verändert, das hat schon durchgeschlagen“, sagt Clemens Tönnies dem WESTFALEN-BLATT. „Die Gastronomie und der Kantinenbereich sind komplett eingebrochen, dagegen konnten wir über den Lebensmittelhandel etwas kompensieren. Da auch der Export weitergeht, sind wir noch im Plan.“¹

Laumann sieht keine Gefahr für Abwanderung von Fleischbetrieben ins Ausland – Tönnies-Vorschläge „erledigt“

NRW-Arbeits- und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sieht in der geplanten Gesetzesverschärfung der Bundesregierung für den Arbeits- und Gesundheitsschutz in der Fleischindustrie keine Gefahr für eine Verlagerung von Produktionen ins Ausland. „Ich glaube nicht, dass es durch die geplanten Arbeitsschutzmaßnahmen zur Abwanderung von Betrieben ins Ausland kommt“, sagte der CDU-Politiker der Düsseldorfer „Rheinischen Post“. „Die Schlachthöfe sind da, wo die Tiere gezüchtet werden, und wir haben hier in Deutschland eine starke und wettbewerbsfähige Tiererzeugung.“ Er rechnet nach eigenen Angaben auch nicht mit einem Konflikt mit Deutschlands größtem Fleischfabrikanten Clemes Tönnies aus NRW, dem das geplante Verbot von Werkverträgen zu weit geht und der für eine Lösung für die gesamte Wirtschaft plädiert. „Die Vorschläge von Herrn Tönnies dürften sich mit der aktuellen Beschlusslage der Bundesregierung erledigt haben“, sagte Laumann.²

¹Westfalen-Blatt ²Rheinische Post

DasParlament

Kommentar verfassen Antwort abbrechen